Wie er seiner fernen Nationalität nachgeht und unbedarft ankommt.
≈ Vor ungefähr zehn Jahren muss ich mich infiziert haben. Sentimentale, teils quäkige Stimmen, die vom großen Schicksal singen und aufgrund der begleitenden Banjos doch hoffnungsvoll nachwirken. Damals wohnte ich vorübergehend in Heidelberg und pendelte beruflich nach Bruchsal. Immerhin 30 Minuten Autofahrt. Und immer lief American Forces Network, weil ich unterwegs keine CDs abspielen konnte und nur dieser Sender echten R&B und HipHop spielte. Und eben zwischendurch auch amerikanische Landmusik lief. Besser bekannt als: Country.
Derartig gewartet
Obwohl ich bereits in jenem Zwanzigeralter und jetzt weiterhin alter wie neuer Soulmusik verfallen gewesen bin. Meine Herzensangelegenheit, lange Zeit beruflich, privat immer noch. Aber wenn dann auf AFN mal Kenny Rogers lief, war ich gleich hin und weg. Seine Stimme, seine liebevolle Huldigung an Frauen. Und hatte nicht Lionel Richie „Lady“ für ihn geschrieben? Mich berühren Countrysongs immer tief im Blut, egal ob die poppiger Nashville Sound, historischer Bluegrass oder sozialkritischer Americana. Nur Honkytonk – ach doch, kann man zumindest im Auto bestens zu abfeiern. Egal wie, bis auf meine paar Rogers-Alben habe ich mir nie eine andere Platte jenes Genres zugelegt. Immer nur gewartet, bis AFN mal wieder was Derartiges spielt. Und mein mühsam erarbeitetes Geld dann doch wieder für die 784. Soulplatte ausgegeben. Herzensangelegenheit.
Ehrlich komponiert
Über Youtube höre ich viel Seelenmusik nebenbei. Auch Funk, R&B. Hauptsache viele Bläser, Rhythmen und vor allem: Stimme. Und kaufe anschließend die Alben neu- und wiederentdeckter Künstler nach. Weil ich sie früher nur auf Kassette hatte oder eben überhaupt bisher in keinem anderen Format. Tja und weil der Videokanal immer so schön empfiehlt – auch außerhalb meines geliebten Musikgenres – kam mir vor einem halben Jahr diese berührende Komposition von John Denver unter. Tränen übers ganze Gesicht. Verdammt ehrlicher Refrain.
Entspannt abgespielt
Bei meinem nächsten Online-Händlerbesuch habe ich dann fix die Sammelalben des Sängers nach jenem Lied durchsucht, restliche Melodien durchgehört und sofort „The Best Of“ gekauft. Die 32 Titel laufen nun seit Mai dieses Jahres feierabends auf meinen Heimfahrten. Morgens eher motivierender Funk oder HipHop, zu später Stunde entspannte Melodien. Eben von Denver oder anderen Chanseuren. Doch das Beste kommt erst noch.
Stilecht eingerichtet
Die seit Monaten leerstehende, ehemalige „Bento“-Bar am Werderplatz hatte im August neu eröffnet. Neuer Inhaber, neues Konzept. Der lustig-liebevolle Craig Judkins hat sein „Electric Eel“ im Siebzigerjahre-Stil eingerichtet: viel Echtholz, kühles Gelb auf den Sitzkissen und vor allem: Platten. Ja genau, diese runden Scheiben aus Vinyl, deren Rillen man wundersame Klänge entlocken kann. Im Eel natürlich nur stilecht mit amerikanischer Landmusik aus jener Zeit mit Leonard Cohen, Denver, Dylan, Barrett, Haggard oder Wee. Viel County, Singer-Songwriter-Zeugs, zwischendurch auch mal deftigen Rock oder Funk. Aber hauptsächlich entspannte Klangwelten, bei denen man sich auf dem Sofa vorne rechts gemütlich unterhalten kann. Wenn jemand daneben sitzt.
Unbedarf berührt
Das altbackene Musikkonzept des gebürtigen Iowa-ners (?) spricht mich seit diesem Sommer so sehr an, dass ich nicht nur mit Freunden, sondern oft alleine dorthin gehe. Nur ein aktuelles Buch im Rucksack. Mit meinen endlich langen Beinen fast auf dem Sofa liegend, einfach der altbackenen Landmusik lauschen. Man darf selbst in den vorrätigen Vinyls stöbern. Doch ich überlasse es lieber dem aktuellen DJ/Barmann – mal ist es ein Mitarbeiter, mal Mr. Judkins selbst. Kreative Menschen in direkter Nachbarschaft sind mir stets willkommen. Wenn sie dann auch noch unbedarft in meiner Seele ankommt. Danke, Craig! ≈≈
© Aus dem Alltag von Linda Könnecke
Mal so, mal so.