Das Gedudel lenkte fast vollends ab und machte doch anrufsüchtig.
≈ Beruflich brauche ich dringend ein bestimmtes Zertifikat. Fachwissen nicht allein im Kopf, sondern Schwarz auf Weiß, deutsche Arbeitgeber beeindruckt sowas. Also auf der Internetseite vom Landratsamt Karlsruhe einen Seminartermin gebucht. Bestätigung kam Minuten später elektronisch. Thema stimmte, Uhrzeit und Ort auch. Nur kein Datum. Weder falsch noch richtig. Kann doch nicht sein, nachgehakt. Direkt beim Amt angerufen, mit hoffentlich kompetentem Ansprechpartner irgendwann.
Dreckig getanzt
Klingeling. Immer wieder. Klingeling. Dann ändert sich der Leitungston. Eine bekannte Melodie beginnt. Erinnert an den Film „Dirty Dancing“. Dann setzt eine piepsige Stimme ein. Entweder ist es ein schlechtes Cover oder das Original durch die Telefonleitung verfälscht. Den Text singe ich prompt mit: „Please, please, please, please, please, tell me your going to…“. Nee, das ist nicht wirklich Maurice Williams mit seinen Zodiacs. Einfach nur eine Neuinterpretation, die dem Landratsamt gefallen hat und bei der ich automatisch mitsinge. Bei jeder neuen Zeile. So alt der Text, so fest verankert hängt er in meinem Musikhirn. Dem damaligen Tanzfilm sei Dank. Hatte die 80er-Soundtrack-Kassette noch in den Neunzigerjahren hoch und runtergespielt. Dann weder als CD noch als MP3 nachgekauft. Vergessen. Bis zum heutigen Anruf beim Amt. Da lief das Lied nonstop in der Warteschleife.
Halb hingehört
Als Minuten später eine Weiterleitungsdame an der Strippe hing, war es vorbei mit dem Gesangswettbewerb. Also auf meiner Seite der Leitung. Ich war noch in Gedanken beim möglichen Interpreten des Ohrwurms, als sie längst ihre Ansage durchrappelte. „… für technische Fragen drücken Sie bitte die XX.. für aktuelle Notfälle bitte die xx“. Konkrete Nummern habe ich mir nicht gemerkt, nicht verstanden. nur halb hingehört. Wartete eigentlich auf mein spezifisches Anliegen, zu der ich dann die Zifferntaste wählen würde. Doch da war es schon vorbei. Anders als bei Telekommunikationsfirmenwarteschleifen wurde hier keine Durchwahl wiederholt. Einfach Schluss, Ende, aus, Anrufleitung beendet. War ich verärgert? Ganz im Gegenteil.
Gerne durchgeklingelt
Nochmal die bekannte Nummer gewählt. Dingeling mal wieder. Also nicht der Bieber, sondern die eingangs genannte Melodie. Mit jedem angespielten Ton kommt langsam Freude auf. Der Refrain kündigt sich an… Gleich ist es soweit. Die Ohren sind gespitzt: „Ooooh won’t you stay… just a little bit longer“. Ehrlich? Genau das mache ich, bleibe „ein bisschen länger“ in der Leitung. Immer wieder gerne. Wunderschöne Kindheitserinnerung an Patrick Swayze und sein Baby. Und überhaupt den schnulzigen Sound jener Zeit, in der „Dirty Dancing“. In welcher eben jenes Lied der Zodiacs spielte. So jetzt in der Leitung vom Landratsamt.
Spontan anrufen
Ich bleibe dran, höre zu, singe mit. Und wenn wieder die Warteschleifentussi kommt, lege ich einfach wieder auf. Brauche keinen Ansprechpartner mehr. Das mit dem Seminartermin wird schon klappen. Bis dahin habe ich mir auch den Tanzfilm-Soundtrack nachgekauft. Oder ich klingel beim Landratsamt spontan mal wieder durch. Nicht einfach so. Aus Gründen. ≈≈
© Aus dem Alltag von Linda Könnecke
Maurice Williams und seine Zodiacs bitten wiederholt ums Längerbleiben.
Besonders spannend finde ich in Warteschleifen eingespielte Klassiker der „Alten Meister“.
Das verströmt immer etwas von „Kultur“. Wartekultur. Lediglich an der Akustik könnte gefeilt werden. 😉
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