Rolligespräch neben Schüchternkind


Wir haben gewartet, kaum geredet und uns vertraut.

≈ „Schatz, bist du zuhause? Guck mal ausm Fenster, ob unten Parkplatz frei ist. Ich bring dir den Wagen“ Szenen einer papierlosen Ehe, bei der wir beide in getrennten Wohnungen leben, uns aber ein Auto teilen und es alle paar Tage den Stadtteil wechselt. Draußen offenbart sich eine große Lücke, mein kleiner C3 könnte fast zwei Mal reinpassen. Also schnell runter und breitbeinig in Warteposition gestellt. Den Blick strebsam gegen Fahrtrichtung, wann mein Schatz endlich kommt. Minutenlang. Auf der Straße kein Auto, weder meins noch ein anders, dass ich wegschicken könnte. Dafür wackelt von links auf der Fußgängerseite ein kleines Mädchen in meine Richtung. Ziellos und doch zu mir.

 

Stirnrunzelnd beobachtet

 

Mit ihren kurzen Afrozöpfen, mindestens fünf davon überall am Kopf verteilt, dazu die Haargummis wirkt sie einfach nur drollig. Zugleich aber auch verpeilt. Entweder weil sie sich verlaufen hat oder gar nicht weiß, wo sie es lang gehen soll. „Hallo! Wie geht es dir?“ Sie bleibt stehen, guckt mich an, bemerkt, dass ich irgendwie zwischen zwei Autos stehe. Stirnrunzeln. So dies bei dem weichen Gesicht eines Vorschulkindes möglich ist. Ich bewege mich aus meiner Parklücke raus, zu dem schüchtern stillen Mädchen hin. Erneute Versuche meinerseits, Worte aus ihr herauszulocken. Was sie denn hier mache, ob sie alleine ist, wo sie hin will. Keine Antwort auf keine meiner Fragen. Doch sie rennt nicht weg, bleibt weiterhin bei mir. Schaut mich mit riesengroßen Augen an. Fragend, beobachtend, einfach so.

 

Widerspenstig geschlagen

 

Gefühlte zehn Minuten später kommt aus gleicher Richtung ein junger Mann gelaufen, ähnliche Hautfarbe wie sie. Er begrüßt das Mädchen, nimmt sie auf die Schultern spricht mit ihr in seiner Sprache. Offenbar gehört sie zu ihm. Frage nach, wie sie heißt und warum sie alleine herumläuft. Name genannt und Erklärung dazu. „Die wollte einfach draußen sein.“ Zugleich nimmt ihre Hand und will sie mitnehmen. Doch sie windet sich widerspenstig, schlägt mit den Armen um sich. Will offenbar bleiben, hier auf diesem Fußgängerweg, gleich neben meiner Parklücke. Macht sie auch. Der kurze Besucher entschuldigt sich und entschwindet wieder wo er hergekommen ist, muss irgendwas besorgen. Sie ist immer noch da. Spricht weiterhin nicht mit mir. Steht aber nah vor meinem Gesicht und glotzt. Wie vorhin auch schon. Nur, dass sie jetzt ab und zu in Richtung Fußgängerweg zur Hausecke hinüberschaut. Da sehe ich ihn kommen. Ein Anderer. Alter Bekannter.

 

Handlich gegrüßt

 

Jahrelang hatte der ältere Mann unsere Karlsruher Obdachlosenhilfe besucht. Dort bekam er von mir und anderen Helfern warmes Essen, frischen Kaffee und ein offenes Ohr für was auch immer ihn bewegte. Bis er nicht mehr laufen konnte. Weder zu uns in den Tagestreff noch woanders hin. Rollstuhl her, Zimmer im Pflegeheim und leider Abschied von seinen zwei Hunden, die nicht mitdurften. Seitdem ist er auf vier Rädern unterwegs. Eigentlich fast täglich, die Straße ist immer noch irgendwie sein Zuhause. So wie heute, als ich mit dem kleinen Mädchen zwischen Fußgängerweg und Parklücke stehe, sprachlos und doch beieinander. Nun kommt er also angerollt mit dem altbekannt griesgrämigen Gesicht und doch hellt selbiges auf, als er mich aus der Ferne erkennt. Ich grüße mit der Hand und er rollt schneller. Selbst meine spontane Straßennachbarin wird aufmerksam, ihre Augen werden noch größer als eh schon.

 

Gebückt geschoben

 

Der sitzende Mann und ich tauschen ein paar Worte miteinander aus. Besser gesagt, er beginnt wieder seinen üblichen aggressiven Monolog, was alles nicht korrekt ist in seinem Leben und wie doof alle anderen sind. Gegenantwort erübrigt sich, Hauptsache ich höre zu. Kenne ich ja von ihm. Derweil steht das Mädchen nebendran, Gesicht ihm zugewendet. Sie hat ihren rechten Arm ausgestreckt, die Handfläche gen Himmel. Leider lässt sich nicht herausfinden, was sie damit will. Möglichen Regentropfen nachspüren? Oder bittet sie den älteren Herren stillschweigend um ein Geschenk? Keiner weiß es. Sie spricht  ja nicht mit uns, viel zu schüchtern. Verfolgt mit ihren Augen aber stetig unser Gespräch. Dann kommt der junge Mann zurück, diesmal in gebückter Rückenhaltung, einen kleinen Schrank vor sich her schiebend. Hatte er gerade vom Möbelbasar in gleicher Straße geholt. Und jetzt kommt er mit dem Holzkasten auf uns zu. Wir drei – das Mädchen, der Rollstuhlfahrer und ich halten inne.

 

Obdachlos rumgestanden

 

Als das Schrank-Jungmann-Duo bei uns angelangt ist, grüßt der junge Mann uns alle. Wie vorhin schon spricht er mit der jungen Dame in einer mir fremden Sprache. Diesmal ist sie nett, gibt ihm bereitwillig die Hand. Sekunden später laufen sie mitsamt Möbelstück  zur nächsten Ecke, winken noch mal und sind weg. Bleiben noch der Rollifahrer und ich. Er fängt wieder an zu reden, ganz viel und schnell. Ich versuche ihm zuzuhören. Doch gerade in diesen Minuten parkt doch tatsächlich jemand in jene Lücke ein, die ich zwecks Mädchen-Gespräch für zwei Meter verlassen hatte. Na,egal. Hauptsache, das junge Ding ist für kurze Zeit nicht alleine gewesen. Dann kann ich gleich wieder rüber auf die andere Straßenseite, zurück in die Wohnung gehen. Soll mein Mann halt nach einem anderen Parkplatz suchen. Wenn er dann kommt. Vorerst stehe ich noch mit dem Ehemalsobdachlosen rum. Erwarte den nächsten Schlechte-Laune-Monolog von seiner Seite. Kommt gar nicht, wie gedacht. In einer ungewohnt liebevollen Stimme fragt er nämlich nach.

 

Freundlich ausgedrückt

 

„Sag mal, kennst du das Mädchen?“ Kopfschüttel. Zum ersten Mal grad gesehen. „Die war niedlich, oder?“ Ja, schon. Ein paar Sekunden lang sagt er nichts. Denkt nach. Und dann setzt er an. Mit dem freundlichsten Gesichtsausdruck, den ich in all den Jahren jemals bei ihm gesehen habe. Vielleicht noch, als er seine Hunde ins Tierheim bringen musste und er Mitleid wollte. „War schön, dass wir uns wiedergesehen, gequatscht haben.“ Der eigentliche Dank gilt dem kleinen Mädchen. Sie war extrem schüchtern und hatte uns Drei für einen Alltagsmoment vereint. Und seine Stimmung erhellt. Das zählt.≈≈

 

© Aus dem Alltag von Linda Könnecke

 

 

 

Die Dells kannten auch ein schüchternes Mädchen.

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