Glücksrempler und Chinagourmet


Blind ist er, rempelt und kommt nicht ausm Schwärmen.

≈ Blumen wollte ich keine. Nur den üblichen Weg vom Fitnessstudio gen trauter Wohnung antreten. Also innerhalb des Scheck-In-Centers vom ersten Stock aus rein in den Fahrstuhl zum Erdgeschoss, dort schnell vorbei an der duftigen Edeka-Fleischtheke und vorbei am überlangen Verkaufsstand des örtlichen Floristen. Das eigentliche Ziel: der Ausgang vom Center. An der Präsentationswand der „Floriade“ kam ich noch lang, dann war mein Heimweg dicht.

Nettes Silvester

Genau da wo sonst anderthalb Personen weiter schlendern könnten, stand er.  Balancierte besser gesagt hin und her. Bloß nicht hinfallen, auch wenn die aufrechte Körperhaltung längst in eine Schräge gewechselt ist. Und schon gar nicht die anderen Silvesterbäumchen umschmeißen! Vielleicht bringt das jeweils mitbefestigte Schornsteinfegerpüppchen wirklich Glück. Nette Idee von der Floristin, wäre der besagte Kerl nicht mittenrein gestolpert.

Begleiteter Nachhausweg

„Ist hier der Ausgang?“ fragt er lautstark in die Luft hinein. Erst jetzt erkenne ich, dass der Mann mit einem Blindenstock vor sich her fuchtelt. Ohne Sehkraft. Ganz offensichtlich. Gleich darauf antwortet ihm die Blumenverkäuferin in ähnliche Lautstärke von ihrer Theke aus. „Nicht hier, Sie müssen da lang“. Und bastelt weiter an ihrem nächsten Kundenstrauß, soll ja Umsatz einfahren, die letzten Tage von 2015. Spontan greife ich den Arm des Mannes und versichere ihm direkt, dass ich mit ihm zum Ausgang bringe. Voller Eigennutz, will ja auch bloß nach Hause. Und wenn es bedeutet, dass ich nur in Begleitung dieses blinden Mannes vorwärts komme.

Nostalgische Speisen

Wir laufen auf die Ausgangstür zu, da fängt er an zu plaudern. So als wären wir alte Freunde, eine Stimme, die sich für die andere interessiert. „Gibt es oben eigentlich noch den Chinesen?“ Klar, erst vor kurzem dort gewesen. „Die haben auch traditionelle Menüs“ erzählt er von sich. Echt lecker. Überhaupt hätten die Asiaten ganz anderes Essen als wir in Europa, ausgefallene Tiere und Gemüsesorten. Angefangen bei der simplen Frühlingsrolle, weiter mit Seegurke, über Haifischflossen, Vogelnester bis hin zu Sojaschnetzel mit Bohnenmus und noch viel mehr. „Hätten Sie das gewusst?“ Nicht wirklich. „Und alles unterschiedlich zubereitet – gedämpft, gebraten, gekocht…“ Schwärmerischer Ton, fast schon nostalgisch.

Melodiöse Liste

Wir einigen uns darauf, dass ich ihn noch bis zur S-Bahn-Haltestelle führe.  Alle für sich entscheidet, mir die letzten Meter zur Bahn noch fünf weitere chinesische Gerichte mitsamt Rezept aufzuzählen. Fast schon melodiös, wie der Mann sie schwärmerisch aufzählt: Huntung, Wan Tan , Dim Sum, Jiaozi, Chop Suey … Dann steigt er ein, ohne zu winken. Nur ein „Danke“. Weg war er.≈≈


© Aus dem Alltag von Linda Könnecke

 

 

Wolfgang Haffners Frühlingsrolle

 

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