Trauermarsch zum Morgenbäcker


Ein oberschicker Herr betritt den Brotladen und fragt nach.

≈ Montagmorgen beim Bäcker gewesen, frisches Brot besorgt. Die Sorte hatte ich längst entschieden, wartete nur noch darauf, das es säuberlich geteilt aus der Schnittmaschine kommt. Just in dieser Wartezeit kam ein kleiner, älterer Herr in den Laden. Überschick gekleidet.

Reduzierte Auswahl

Vielleicht ist er Mitte 70 plus minus fünf Jahre. Zumindest strahlt er von seiner langsamen Körperbewegung her eine gewisse Ruhe aus, die nur pensionierte Menschen innehaben. Er trägt einen enganliegenden, beigen Anzug, dazu ein faltenfreie, hellblaues Hemd und eine dieser überschmalen Krawatten, wie ich sie nur von jungen Sparkassenberatern kenne. Der Herr im Bäckerladen reckt seinen Kopf gen Zeitungsregal, wo als mediale Reduktion nur die obligatorische BILD und die Badischen Neuesten Nachrichten ausliegen. Scheint doch nicht sein Interesse zu sein. Er wendet sich ab und hin zur Verkaufstheke, wo Käsespatzen, Brezeln und Kaiserweck ausliegen. Dann spricht er, langsam und klar bestimmt.

Ältere Traueranzeige

„Haben Sie noch die BNN vom Wochenende?“, fragt er in die morgendliche Verkäuferinnenrunde hinein. Erst mal keine direkte Reaktion. Sekunden später läuft jene Dame, die gerade mein geschnittenes Brot eingetütet hat, mit selbigen nach hinten ins Personalzimmer. Kommt zurück und teilt uns allen mit: „Nein, leider keine Ausgabe mehr da.“ Ob denn ein bestimmter Artikel drin gewesen sei. „Eine Bekannte ist gestorben und da war eine Traueranzeige drin.“ Kurze Stille im Laden, auch bei den anderen Kunden, die gerade noch etwas bestellen wollten.

Spontaner Einsatz

Eine Sekunde später läuft nun die jüngste der drei Verkäuferinnen nach hinten, kommt zurück und bestätigt: „Ist wirklich keine mehr da.“. Offenbar schien ihr die ältere Kollegin, welche zuerst geschaut hatte, nicht glaubwürdig genug. Diese blickte denn auch leicht verärgert zum Jungspund und sprach dennoch mit freundlicher Stimme – zum ihm, dem älteren Herren. „Wissen Sie was, ich schaue heute nach Feierabend mal, ob wir zuhause die Seiten mit den Traueranzeigen noch haben.“ Damit war ihr spontaner Einsatz beim schicken Senioren. Schon lief sie entlang der Theke zum nächsten, wartenden Kunde und fragte professionell, was er denn gerne hätte.

Dankende Trauer

Der trauernde ältere Herr lief bereits bedächtig zur Ausgangstür, drehte sich noch mal um zu den Verkäuferinnen und rief lautstark: „Danke sehr!“ Danke für das nette Angebot von der Dame, bei sich daheim alte Zeitungsseiten durchzuwühlen. Egal ob die Verkäuferin ihm morgen die besagte Wochenendausgabe bringt oder nicht. Sie bemüht sich, hat sich angestrengt. Noch während sie eine andere Kundin abwickelte, eben mein Brot samt Tragetüte, lief sie in den Personalraum und schaute für ihn nach. Dachte weiter und bot ihm spontan an, zuhause nach den samstäglichen Traueranzeigen zu suchen. Darauf kommt es an. Herzliche Aufmerksamkeit dem Mitmenschen gegenüber. In seiner Trauer, wann immer. Dafür ein Danke.≈

© Aus dem Alltag von Linda Könnecke

 

 

Trauermarsch

Ein Gedanke zu „Trauermarsch zum Morgenbäcker

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