Eine Nachbarin hört laute Schritte und fremde Stimmen, ich bleibe wachsam.
≈ Halb elf Uhr abends. Sollte längst im Bett sein zwecks fit für nächsten Bürotag. In der letzten Werbepause wenigstens Zähne geputzt und Schlafklamotte übergeworfen. Da klingelt es an der Tür. Wohlgemerkt: Wohnungstür, gleich hier oben im zweiten Stock, nicht beim Hauseingang. Tür auf. Polizei. Kurzes Nachdenken, dann innerlich: Was?!
Lieber drinnen
„Entschuldigen Sie die späte Störung, wir hätten da ein paar Fragen an Sie, können wir reinkommen?“, fragt der männliche Teil des Polizistenduos. „Worum geht es denn überhaupt?“ Seine vernuschelte Antwort ist unverständlich. Mein überlauter Fernseher übertönt ihn zudem. „Also wissen Sie…“, möchte er fortfahren. „Nur schnell die Glotze runterdrehen, dann höre ich Sie besser“, unterbreche ich ihn aufgeregt und renne in die Wohnung. Zurück an der Tür, versucht er es noch mal. „Also eigentlich wäre es doch besser, wenn wir es drin besprechen“, sagt er fast wehleidig. Doch ich sprinte schon rein, schalte das Krachgerät aus und bitte ihn mitsamt Kollegin herein.
Eher psychisch
„Wir sind hier wegen der Nachbarin unter ihnen, und ich sage ihnen gleich, die ist etwas…“ sagt der Polizist und wischt dabei mit der Hand vor seinem Gesicht hin und her. Die Nachbarin unter mir hat wohl nicht erst seit heute psychische Probleme, hört fremde Stimmen um sich rum und laute Schritte über sich. Deshalb der polizeiliche Besuch bei mir. Eigentliche keine wirkliche Frage. Nur meine Personalien werden aufgenommen. „Ist halt Routinepflicht, wir wollen Sie auch nicht lange aufhalten“, betont die bisher still gewesene Kollegin. Doch ihr männliches Pendant plagt noch ein dringendes Anliegen.
Vorzugsweise achtsam
„Sie wohnen hier in einem sehr belebten Viertel.“ Ja, Südstadt hat, multikulti. Da kennt jeder Jeden, vom Sehen halt. Und fast jeder glaubt, über die anderen Bescheid zu wissen. „Wenn die Leute sich wieder über die untere Nachbarin lustig machen sollten, weil sie kaum grüßt und erneut die Polizei ruft, denken Sie nichts Falsches“, so der Polizist mit gleichsam einfühlsamen Blick direkt in meine müden Augen. Die werte Dame habe nun mal eine nachgewiesene, psychische Störung und glaubt, dass „jemand sie holen kommt“. Er empfiehlt mir, für ihre Eigenarten Verständnis zu zeigen und vor allem achtsam zu sein.
Tunlichst handelnd
„Solche Krankheiten können für den Betroffenen böse ausarten“, erklärt der besorgte Gesetzeshüter. „Es wäre schön zu wissen, dass wir nicht erst gerufen werden, wenn es für diejenigen zu spät ist. Haben Sie einfach einen Blick oder ein Ohr auf das, was in ihrer Nachbarschaft passiert und handeln Sie rechtzeitig.“ Was nach der bürokratischen Ordnung seine Pflicht, war nun seine Kür. Besser gesagt: kürsorgliche Worte, denen ich gerne nachkomme. Für ein weiterhin soziales Miteinander bei den werten Nachbarn links und rechts von mir, oben und erst recht direkt darunter.≈≈
© Linda Könnecke
Pingback: Fehlname vom Schrägnachbar | Alltags.Seele
Pingback: Rückwärts mit Vorsatz | Alltags.Seele