Absolut übermüdet saßen, nein, lagen sie beide im Wartesaal und lächelten dennoch zufrieden…
≈ Seit zwei Nächten nicht mehr wirklich geschlafen. Beim wachen Liegen wird mir schwindlig und sobald ich die Augen schließe, falle ich gefühlt bis runter zur Erdkruste. Unheimlich. Tagsüber befinde ich mich eher aufrecht, nur darf ich mich auf nichts länger als eine Minute konzentrieren, sonst geht es wieder los und ich schwanke. Blöd nur, wenn ich als Redakteurin jedes Wort dreimal überdenke. Deshalb beim Arzt, soll es richten, dieses unbestimmte Vertigo in mir. Blöd nur, dass der Schwindel abrupt aufgetreten ist und ich deshalb keinen Termin habe. Also warten, möglichst kopfunter.
Ungeduldige Patienten
Aus jetzt dreitägiger Erfahrung weiß ich, dass mit Blick gen Schuhe weniger Schwindelattacken passieren als gerade ausgerichtet. Nur ab und zu hochschauen, wenn die Helferdamen neue Patienten aufrufen. Seit 9 Uhr morgens, drei Stunden warte ich. Auf mich. Meinen Namen. Nichts. Inspiziere den Warteraum in alle Richtungen, außerdem andere, ungeduldige Patienten um mich rum. Links das beruhigende Aquarium mit echten Fischen (nicht gefrühstückt), rechts der Stapel Zeitschrift en(Leseverbot) und direkt vor mir: … oh, was das? Besser: wer? Und wie.
Augenschließliche Kinder
Ein blondes Mädchen und ein dunkelhaariger Teenager liegen auf der Sitzbank mir gegenüber. Von der Seite umarmt er ihren kleineren Körper, sie wiederum verhakt ihre Arme mit seinen längeren Tentakeln. Beide haben die Augen geschlossen und ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Für einen Moment bewegt sie sich und schaut erst umher, dann ihn direkt an. Der Junge wird auch wach, schaut zurück und grüßt eine Dame mittleren Alters, die gerade von der Empfangstheke kommt, mit „Mama!“ Die Frau setzt sich neben Beide, sagt nichts und tippt in ihr Smartphone. Ihre offensichtlichen Kinder verschränken sich wieder ineinander und ergeben augenschließlich ihrer beider Müdigkeit. Genau wie ich schrecken sie kurz hoch, sobald die Praxishelferin neue Namen ausruft. Wir alle ergeben uns wieder der stundenlangen Monotonie des ewigen Wartens. Mindestens zwei von uns wollen alsbald ins Arztzimmer und dürfen nicht rein.
Vertikales Trio
Die beiden Kinder jedoch haben einander. So früh sie wegen des Termins auch aufstehen mussten, so lange sie noch ausharren werden: nicht alleine. Der große Bruder war für die kleine Schwester da. Faltete für sie späterer Mittagszeit sogar einen Papierflieger und bemalte ihn bunt. Doch während des gemeinsamen Nickerchens auf der Wartebank schien auch sie zum ihm zu stehen, die kurzen Ärmchen dicht um seine geschlungen. Die telefonisch beschäftigte Mutter kam erst verzögert dazu, richtete den kuschelnden Nachwuchs vertikal auf und umarmte beide innig. Die Kinder stimmten wortlos mit ein. Und so kitschig es klingen es mag, so war es: ein Bild der Liebe. Egal was der Orthopäde später einem der Drei einrenken wird. Zugegeben, ich war neidisch. Und doch irgendwie herzerwärmt, als ich endlich dran war und ins Labor durfte. Einzig die kühle Röntgenschürze setzte diesem kuscheligen Moment ein Ende. War halt so.≈≈
PS. Für diesen Blogeintrag musste ich mich gefühlte 599 Mal am Schreibtisch festhalten und tief „einatmen… ausatmen“, weil der Schwindel sofort einsetzte, sobald ich ein Wort zu lange anschaute. Wünsche es keinem. Dafür jedem einen lieben Mitmenschen, der sich in der Arztpraxis an einen rankuschelt und die akute Schwäche gemeinsam überwinden lässt.
© Aus dem Alltag von Linda Könnecke
Mir wird schon beim Lesen anders – ich kenne den hässlichen Drehschwindel vom Morbus Meniere und ich HASSE es … mir wird dabei nämlich immer speiübel. Ich ziehe meinen Hut vor Dir … ich könnt da nicht noch in die Tasten hauen! 🙂
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Danke dir für den „Hut“, liebe Praline. Wollte eigentlich kein Unwohlsein verursachen, nur von einer netten Beobachtung erzählen.
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Ich ärgere mich jedes Mal über die lange Wartezeit, denn man fühlt sich schon so schlimm krank und dann noch das lange Warten …
LG
Gabriele
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Also, wenn das nächste Mal im Wartezimmer wieder so vielgekuschelt wird, bleibe ich gerne länger, Gabryon. Solche Erlebnisse beflügeln stets meine Seele.
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