Ein älterer Mann mit langem Kleid will was reinigen, findet anderes und überrascht.
≈ Ausnahmsweise wenig los gewesen im Waschsalon. Während man sonst ab 12 Uhr gefühlte zwei Stunden darauf wartet, dass eine Maschine frei wird, gab es diesmal gleich vier davon zur freien Auswahl. Es lohnt sich, feiertags etwas früher aufzustehen. Selbst das Publikum scheint ein anderes. Kaum unausgeschlafene Studenten oder eingereiste Musiker, die noch benebelt sind vom nächtlichen Gig. Dafür muntere Frühaufsteher, die sogar ihren Laptop mitbringen, um den nächsten Arbeitstag vorzubereiten. Oder eben jener Mufti mit rotgefärbtem Barthaar, schwarzem Kleid und kleinem Jungen im Schlepptau.
Suspekt geglotzt
Ich selbst habe bereits etliche Jahre in diversen Multikulti-Vierteln gelebt und pflege auch außerhalb dieser einen internationalen Freundeskreis. Ein solches Käppi für Muslime war mir deshalb nicht unbekannt, hennagefärbte Gesichtshaare kenne ich spätestens seit dem konvertierten Vogel. Von den MC-Hammer-Hosen gar nicht erst zu reden. Nur dieses lange, schwarze Gewand vom Nacken bis zum Knöchel reichend und mit senkrechten, goldenen Streifen als Hingucker war mir neu. Zugleich mehr als suspekt. Weil mich der Mann gleich anlächelte, als ich ihn von meinem Warteplatz aus anglotzte.
Desinteressiert ignoriert
Vielleicht verwechselt er mich mit einer Muslima. Habe ich heute Kopftuch auf? Kurzer Handcheck: Glück gehabt, 30 Grad draußen, also blanke Glatze. Kein Stoff aufm Haupt. Und er war sowie damit beschäftigt, seine gewählte Maschine zu befüllen. Der kleine Junge vergnügte sich derweil anderswo im Salon bis Beide aus dem Laden raus an die frische Luft wechselten. Wobei der Mann eine Zigarette rauchte, die Lunge nach dem vorherigen Waschmittelgeruch also kaum aufatmete. Ja, ich wusste es, weil ich mich nach ihm umgedreht hatte, als er rausgegangen war. Neugierig halt. Selbst schuld. Er aber genauso, sollte er in zehn Jahren an Lungenkrebs sterben. Irgendwie war ich dem Fremden gegenüber aggro gestimmt. Erst recht, als er in den Salon zurückkam, am Bezahlautomaten stand und diesmal etwas in meine Richtung quatschte. Hab nur desinteressiert zurückgeblickt, mich innerlich mit meiner Schwerhörigkeit rausgeredet. Und dann sprach er noch mal, diesmal mit gestreckter Hand, vor mir stehend. Recht gebrochenes Deutsch. Soviel verstand ich: Ob ich vorhin am Automaten gewesen wäre und der Euro mir gehöre, der noch im System steckt. Äh…?
Doppelt drücken
Zeitlich passt es. Ich hatte außer ihm auch keinen anderen Kunden nach mir kommen sehen. Und ja, stimmt. Für die doppeltlange Trocknerzeit reicht es nicht, den doppelten Geldbetrag einzuwerfen. Doppelt auf die Gerätenummer drücken gehört noch dazu. Hatte ich vergessen. Deshalb fand der Kleidmann den übrigen Euro, den er nun rausholen und mir geben wollte. Logisch. Und doch überlegte ich eine Sekunde länger. Ob ich das Geld annehmen oder jenes dem offenbaren Neuankömmling bei uns überlassen sollte. Denk, denk…
Lächelnd genommen
.. und schon plapperte er weiter drauf los in kaum verständlichen Ausländerdeutsch. Seinem Sohn – aha! – hatte er nur erklären wollen, wie dieser Automat hier funktioniert. Und dabei sah er, dass auf dem Display noch ein Euro gutgeschrieben stand. Der wiederum nur meiner sein konnte. Er hatte mich also genauso beobachtet und bemerkt, dass ich die letzte Kundin dran war. Damit hatte er mich. Ich nahm die Münze entgegen und schenkte ihm mein ehrlichstes Lächeln von ganz tief drin. Das hatte er verdient. Würde mich freuen, ihn beim nächsten Salon wieder anzutreffen. Diesmal mit einem offenen Gespräch darüber, wer er ist und was er so macht. Abgesehen vom Wäschewaschen.≈≈
© Linda Könnecke
Ich liebe es, mich dank einiger weniger Vorurteile in Menschen zu täuschen. Geht mir schon viele Jahre so und bringt wunderbare, sonderbare, aber immer sehr interessante Leute in mein Leben. Manche sind nur flüchtige Bekannte, manche aber auch gute Freunde geworden. Selten wurde ich in meinen Vorurteilen auch bestätigt, was mich dann zu einem Selbstlob ob meiner Menschenkenntnis veranlasste.
Jeder hat seine Macke.
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