Wie uns eine bessere Janis von der Arbeit abhielt und mich dennoch motivierte.
≈ Halbe Stunde zu spät aufgestanden, schnell angezogen und forschen Schrittes den ersten der fast zwei Kilometer zum Arbeitgeber gelaufen. Vorbei an etlichen Baustellen links und rechts, schließlich ist die Südweststadt ein Viertel, in dem Haus- und Wohnungsbesitzer noch stolz auf ihr Eigentum sind und dieses regelmäßig sanieren lassen. Der morgendliche Bohr- und Schuttlärm gehört deshalb zu meinem Arbeitsweg dazu. Nur zwei Querstraßen vor meinem Ziel kam mir dann etwas ins Ohr, das ich nicht gleich identifizieren konnte. Also langsamer gelaufen, damit der vorbei huschende Wind mein Gehör nicht weiter beeinträchtigt. Und schon wurde es mit jedem weiteren Schritt gen HfG klarer und deutlicher:
„…worked hard all my lifetime, no help from my friends…
so lord … won’t you buy me..“
Laut. Weiblich. Und doch kratziger, erdiger in der Stimme als das lieblich niedliche Original von Janis Joplin. Bin nicht mit der Frau aufgewachsen, schon gar zu ihren Lebenszeiten. Dementsprechend berührt mich ihr Gesang, lenkt nur minimal auf den eigentlich genialen von Bobby Womack inspirierten Liedtext.
Suchende Lauscher
Was ich an jenem Mittwochmorgen vernahm, war weitaus eindringlicher. Tiefgehender, weil so rau, dass es ungewollt in meinen eigenen Stimmbändern kratzte. Nur minimal hörte ich noch ein paar Betonmischer nahebei. Die Frau dafür lautstark. Bin stehen geblieben, habe gelauscht, weil es so schön war. Und, weil ich wissen wollte, woher das eigentlich kommt. Aus irgendeinem der Gebäude links auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Kein geöffnetes Fenster irgendwo, aus dem es hätte herausschallen können. Dennoch laut über alle natürlichen Frequenzen hinweg. Selbst die Bauarbeiter auf einem der Gerüste standen kurz still und schauten jeder für sich in alle Richtungen. Offenbar nach der Klangquelle suchend. Und, um weiter zu lauschen:
„…counting on you, Lord, please don’t let me down.
prove that you love me and buy the next round…“
Einfach zu schön. Innig. Und so voluminös stark, dass man es bestimmt noch bis zurück in meinem Stadtviertel hören konnte. Immerhin selten so eine Stimmgewalt vernommen. Umso erfreulicher, wenn sie mir urplötzlich in Ohren und Seele gelangt sowie diese verwöhnt. Einzig: wer oder was? Wüsste nicht, dass in dieser Gegend eine Musikschule sein sollte. Vielleicht begleitete jemand auch nur sein morgendliches Bad mit Gesangseinlage, frei von professionellen Ambitionen gen Plattenvertrag. Oder einfach nur von Platte abgespielt, was weiß ich.
Motivierende Unbekannte
Werde es nie herausfinden, weil das spontane Exklusivkonzert für mich und die fleißigen Konstrukteure nach wenigen Minuten beendet war. Überhaupt bin ich doch eh zu spät gewesen, musste schnell weiter, eh schon zu spät. Dafür motiviert wie lange nicht zur Arbeit, fröhlich, pfeifend und mit Schwung in der Hüfte. Weil einen Moment zuvor musikalisch kraftvoll angetrieben – Janis, Frau Unbekannt oder wem auch immer sei gedankt. ≈≈
© Linda Könnecke
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