Wie ich sozial sein wollte, ausflippte und auch die Nachbarn was abstellten.
≈ Morgen früh kommen sie wieder. Entweder mit einem angemalten Bollerwagen oder gemieteten Laster. War im „RUDI“ mitgeteilt und ist außerdem seit sieben Tagen per angeklebtem Flugblatt im Hauseingang angekündigt. Weil irgendein sozialer Verein, meist deren jugendliche Mitglieder, am Samstagmorgen entlang der örtlichen Einbahnstraßen das abgestellte Altpapier aufsammeln wird. Und ich meinen Beitrag leisten will aller wiederkehrender Verzweiflung zum Trotz. Wozu sonst habe jeden noch so beschriebenen Schmierzettel gehortet, kostenlose Magazine gesammelt und rechts neben dem Backofen gehortet. Heute stehe ich wieder in der Küche, bereit zur Mammutaufgabe: bündeln.
Flutschen und rutschen
Mit der linken Hand drücke ich den Papierstapel auf die Arbeitsplatte, damit ja kein Blatt rausfliegt. Rechterhand ist der Paketfaden, den ich mir extra bei der Post gekauft hatte. Soll ja keiner mein wertvolles Bündel an Werbeprospekten aufreißen, bevor der Verein vorbeikommt und es aufsammelt. Apropos Verein. Alzheim. Alzheimer. Verzweifelt und vergesslich. Genauso fühle ich mich, wann immer ich etwas bündeln soll. Als hätte ich nie gelernt, wie man einen Faden führt und Schleifen zieht. Die Blätter flutschen gegensätzlich auseinander, der Faden rutscht ihren unterschiedlichen Kanten entlang und der angedachte Knoten landet anders wo er sollte. Und es läuft stets darauf hinaus, dass ich warte, bis mein Mann feierabends heimkehrt und den Faden übernimmt. Schwupps-die wupps-kreuzen sich seine Arme hin und der her. Das erste Paket ist fertig geschnürt.
„Jetzt bist du dran.“
Er ist geduldig, schaut mir bei den ersten Schritten zu, greift nicht ein. Meine Person dafür das exakte Gegenteil. Die Finger wissen nicht, wo sie lang führen sollen, die Lunge stößt hektischen gen Papier, als würden die Blätter nicht eh schon wild umhertreiben. Kurzes Innehalten, verzweifelter Blick hin zum Experten. Er weiß längst: Noch mal zeigen bringt nichts, davon lernt keiner was. Und überhaupt wäre ja dann die Arbeit schon getan. Lieber klare Anweisungen geben. Ich versuche es. Vergeblich. Heute Abend wieder so? Eigentlich will es alleine schaffen, weil kulinarisches Rendezvous ansteht. Hinterher möchte ich mit ihm keine Pakete geschnürt werden, eher gemeinsame Aktionen anderer Art. Und dennoch.
Wie habe ich damals eigentlich gelernt, Schnürsenkel zu verbinden? Waren es meine Eltern, die wie mein jetziger Experte geduldig neben mir standen und meine retardierte Fingerfertigkeit abwarteten? Irgendwann hatte ich es wohl drauf. Selbst wenn ich mit erwachsenenen 34 meine alltäglichen Sneaker längst gegen elegante Stiefel getauscht habe. Beim wöchentlichen Gym-Besuch kann ich besagte Leisetreter sogar mit angehobenem Knie schnüren. Nur das Altpapier lacht mich weiter aus.
Fast und doch
Und dann kommt es mir. Ich teile den wasserkocherhohen Stapel in der Hälfte. Die geschätzten 100 Blätter pro Einheit wollen sich immer noch nicht beruhigen. Also rauf mit dem Elektrogerät, direkt auf das Theatermagazin. Links und rechts vom Kocher führe ich den Faden entlang, hebe kurz den Stapel, Kocher weiter weg. Unten geht es weiter, Blind gekreuzt, nach oben, geknotet und so weiter. Beim nächsten Bündel genauso. Macht fast schon Spaß. Fast.
Für den nächsten Weihnachtskauf in der Kaiserstraße hätte mich kein Einzelhändler zwecks Packservice engagiert. Ein Rechteck ist vage erkennbar, nur nicht entsprechend der DIN-Norm. Und doch irgendwie zusammenhaltend. Sogar mit etwas Luft zwischen Faden und Papier, damit es nicht zu hart in die Finger schneidet, wenn ich die zwei Bündel zwei Etagen runtertransportiere und für morgen vor die Haustür lege. Da stehen sie nun, brav übereinander. Kein anderer Stapel eines meiner Mitbewohner. Dafür gleich am nächsten Hauseingang ein mickriges Häufchen Kataloge kreuzweise ge“bunden“ mit Paketklebeband. Und bei der Einfahrt gegenüber sogar ein Karton mit losen Papierblättern und Deckel drauf. Auch eine Idee.≈≈
© Linda Könnecke