Warum ich beim Fußball für niemanden bin, musikalisch eher mitfiebere und dabei sachlicher entscheide.
≈ Dieser Tage begegnet mir immer wieder eine prägnante Frage:„Und, für wen BIST du?“ Ist mir klar, wohin die Frage zielt. Ritterspiele auf grünem Rasen irgendwo in Lateinamerika. Mal abgesehen davon, dass mich Fußball null interessiert. Weder selbst aktiv spielend, noch faulenzerisch auf dem Sofa schauend. Dennoch juckt es unangenehm in mir, sobald jemand wieder besagte Frage stellt. Zumal mein Bekanntenkreis weiß, dass ich kein Anhänger dieser Sportart bin. Und man mich trotzdem fragt. Wie so viele andere auch.
Mitleidsquotenregelung
Ich möchte mal platt unterstellen, dass die meisten Menschen auf so eine Frage nicht sportlich, geschweige denn expertenmäßig antworten. Von wegen: „Land XYX, weil durchgehend versiert gespielt und taktisch hervorragend agiert, deshalb BIN ich für dieses Team.“ In den seltensten Fällen. Meist wird die Wahl auf „Land XY“ damit begründet, dass man selbst bzw. die Familie von dorther stammt. Oder, zweitliebst genannt: „weil die Kleinen auch mal gewinnen sollen“. Ersteres nennt man wohl Nationalstolz, Zweiteres schiere Mitleidsquotenregelung. Passt mir beides nicht. Sport einfach Sport. In diesem Fall: Ballsport. Und nichts anderes als das. Die körperliche Ertüchtigung plus geistiger Zusatzleistung zählt. Nur das.
Wenn ich es mit der Musikbranche vergleiche, in der ich eher beheimatet bin, dann lässt sich die WM gleichsetzen mit einer Preisverleihung. Wohlgemerkt keine Echo-Gala, bei der es nur um längst bekannte, höchstzählige Downloads und CD-Verkäufe geht. Eher eine Institution wie die Grammy Awards, bei welchen eine renommierte Jury über die künstlerische Leistung aller Vorjahresveröffentlichungen urteilt. Die ehrenhafte Auszeichnung (Finale) geschieht meist im Januar/Februar des Folgejahres. Im Gegensatz zu Fußball liefern die Musiker ihre Leistung jedoch nicht erst ab Bekanntgabe der Nominierten (respektive: qualifizierte Nationen) ihre Leistung ab, sondern bereits im Vorfeld. Eben sobald eine neue Single, ein neues Album veröffentlicht und somit auf dem Markt angepriesen wurde.
Fußballerische Denke
Sollte Xavier Naidoo dieses Jahr für einen Grammy nominiert werden und parallel dazu ein britischer sowie ein vatikanischer Künstler. Reines Gedankenspiel. Für wen fiebere ich mit bis zur Preisvergabe Anfang 2015? Der fußballerischen Denke nach BIN ich für NAIDOO, weil gleicher Nationalität. Unabhängig von der musikalischen Qualität seiner aktuellen Platten. Oder BIN ich doch eher für den singenden Gardisten, weil eine Minderheit auf dem weltweiten Musikmarkt? Dabei verstehe ich nicht mal deren Sprache. Pustekuchen. Für mich zählen nur die Komposition und die Ausführung selbiger. Basta.
Als Ende der Neunzigerjahre das Album „Nicht von dieser Welt“ für diverse deutsche Musikpreise nominiert war, hatte ich für Naidoo die Daumen gedrückt. Damals gefiel mir seine Musik, die von Moses Pelham mitproduziert wurde. Poppiger Soul, und Texte, die geradlinig ins Gehör laufen. So denke ich noch heute, wenn ich sein Debüt höre. Und zwar frei von jeglicher Deutschlogik. Es gefällt mir rein musikalisch. Fakt ist aber auch, dass ich in den Folgejahren nicht mehr für Naidoos Musik gewesen BIN. Das soulige Element, das mich eingangs überzeugt hatte, klang mir nicht mehr durch in seinen neuen Liedern. Deutsch geblieben ist Naidoo. Könnecke ebenso. Und öfters höre seine neuen Melodien gelegentlich im Radio oder Fernsehen, passiv halt. Dagegen entscheide ich mich jeweils aktiv ob ich gerade für ihn BIN oder nicht. Sprich: den Kanal wechsle oder weiter lausche. Nur halt nach künstlerisch-musikalischen Kriterien. Ganz ohne nationaler Emotionen oder möglicher Mitleidsquote.
Im Sport es genauso funktionieren. Wenn man nur gewillt ist. Einfach die familiäre Herkunft beiseite, und das gesellschaftliche Pflichtbedauern ad acta legen. Besser nur die reine Leistung beurteilen – spontan, momentan, während die Spiele laufen. Demnach BIN ich für das Team, welches fair spielt und dabei clever Tore erzielt. Brauche ich nicht anschauen. Will ich gar nicht. Ich vertraue einfach dem sportlichen Urteil eines jeden Fußballfans. Und die schönste Nebensache der Welt ist und bleibt für mich: Musik.≈≈
© Linda Könnecke